STELLUNGNAHME VOM
29.10.2024
Israels UNRWA-Verbot untergräbt die humanitäre Hilfe in Gaza
Das Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina ist bestürzt über den Entscheid des israelischen Parlaments vom 28. Oktober, dem UNO-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) die Handlungsgrundlage in Israel zu entziehen. Die Reform verstösst gegen internationales Recht, das UNO-Mitgliedstaaten wie Israel dazu verpflichtet, die Vereinten Nationen in ihrer Arbeit zu unterstützen. Zudem ignoriert Israel mit dem Entscheid die vom Internationalen Gerichtshof angeordnete vorläufige Massnahme, die Lieferung überlebenswichtiger Hilfsgüter zu sichern.
Das Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina und seine Mitgliedorganisationen haben in der Vergangenheit wiederholt auf die Bedeutung der UNRWA hingewiesen. Die UNRWA ist das Rückgrat der internationalen humanitären Hilfe im Gazastreifen, dessen Bevölkerung bereits von grundlegenden Gütern wie Nahrung, Wasser, medizinischer Hilfe, Bildung und humanitärem Schutz abgeschnitten ist und seit über einem Jahr unter unerträglichen Bedingungen überlebt. Mit dem Entscheid verunmöglicht Israel die Funktionsfähigkeit einer UNO-Agentur, deren Arbeit für das Überleben von über 2 Millionen Menschen zentral ist. Die UNRWA ist zudem die wichtigste Dienstleisterin für medizinische Grundversorgung, psychologische Betreuung und Schulbildung im Westjordanland. Auch diese Aufgaben sind mit dem Parlamentsbeschluss akut gefährdet.
Die Schweiz hält aktuell den Vorsitz im UNO-Sicherheitsrat inne. Das Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina fordert Bundesrat Ignazio Cassis und alle Vertreter*innen der Schweizer Mission in New York auf, ihren Einfluss geltend zu machen, damit alle Mitgliedsländer des Sicherheitsrats sich unmissverständlich für eine Fortsetzung der Arbeit der UNRWA im besetzten palästinensischen Gebiet aussprechen.
Das Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina ist ein Zusammenschluss von 12 Nichtregierungsorganisationen in der Schweiz, die sich für einen menschenrechtsbasierten Ansatz im Nahostkonflikt einsetzen.
STELLUNGNAHME VOM 26.9.2024
Die Schweiz muss sich stärker für den Schutz der Zivilbevölkerung einsetzen
Die UNO-Generalversammlung hat am 18. September mit deutlicher Mehrheit eine Resolution angenommen, die eine Umsetzung des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs zur Besetzung des palästinensischen Gebiets seit 1967 durch Israel fordert. Das Gutachten, veröffentlicht am 19. Juli 2024, kommt zum Schluss, dass die andauernde Besetzung dem internationalen Völkerrecht widerspricht, und verpflichtet Israel dazu, die Besetzung so rasch wie möglich zu beenden. Weiter fordert das Gutachten die Staatengemeinschaft auf, jede Form von Kooperation zu unterbinden, die den Zustand der Besetzung stützen würde.
Die UNO-Generalversammlung hat ausserdem die Schweiz dazu aufgerufen, als Depositarstaat der Genfer Konventionen die Vertragsstaaten zu einer Konferenz einzuladen. Deren Zweck soll die Stärkung des Schutzes der Zivilbevölkerung im besetzten palästinensischen Gebiet sein.
Das Eidgenössische Departement für Auswärtige Angelegenheiten EDA hat sich in einer ersten Reaktion bereit erklärt, diese Konferenz innerhalb von sechs Monaten durchzuführen. Zusätzlich hat das EDA die Position der Schweiz bekräftigt, wonach die Illegalität der israelischen Besetzung des palästinensischen Gebiets ausser Zweifel sei und beendet werden müsse.
Das Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina begrüsst die Resolution der UNO-Generalversammlung und ausdrücklich die Absichtserklärung der Schweiz, die geforderte Konferenz durchzuführen. Gleichzeitig bedauert das Forum, dass sich die Schweiz der Zustimmung zur Resolution enthalten hat. Dass die palästinensische Zivilbevölkerung ausserordentliches Leid unter der andauernden Besetzung erfährt und ihr der völkerrechtlich zustehende Schutz verwehrt wird, verdeutlichen nicht nur die verheerenden Opferzahlen des Krieges im Gazastreifen, sondern auch die unverhältnismässige Anwendung militärischer Gewalt im Westjordanland in den vergangenen Wochen.
Ende August 2024 begann Israel eine umfassende Militäroperation in mehreren palästinensischen Ortschaften im besetzten Westjordanland, darunter die Städte Jenin, Tulkarem, Tubas und Nablus. Gemäss Angaben der UNO-Koordination für Humanitäre Angelegenheiten (UNOCHA) forderte die Operation seither Dutzende zivile Opfer, darunter Minderjährige.
Zusätzlich wurde relevante zivile Infrastruktur wie Wohnhäuser, Strassen und Abwasserleitungen zerstört. Mit offensichtlicher Duldung der israelischen Sicherheitskräfte haben zudem israelische Siedlergruppen seit Anfang September 81 Palästinenser:innen, darunter 41 Kinder, aus ihren Häusern vertrieben. Insgesamt sind im Westjordanland seit Kriegsbeginn im Oktober 2023 laut UNOCHA 693 Palästinenser:innen getötet worden – mehrheitlich durch das israelische Militär, in zwölf Fällen durch israelische Siedlergruppen. Im selben Zeitraum hat die Armee über 4'400 Palästinenser:innen aus ihren Wohnhäusern vertrieben, darunter 1'875 Minderjährige.
Diese Gewalt im Westjordanland ist nur die jüngste Entwicklung in einer seit Jahrzehnten andauernden Kampagne Israels der Vertreibung, Enteignung und Beseitigung von Palästinenser:innen als nationale Gruppe im Westjordanland, sagt die UNO-Sonderberichterstatterin für das besetzte palästinensische Gebiet Francesca Albanese: „Es zeigt sich, dass kein Palästinenser und keine Palästinenserin unter israelischer Kontrolle in Sicherheit leben kann.“
Mit tiefer Besorgnis registriert das Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina zudem die wiederholten Aussagen israelischer Regierungsvertreter, die für das Westjordanland dieselbe militärische Vorgehensweise fordern wie im Gazastreifen.
Das Forum fordert die Schweiz daher auf, ihrer bekräftigten Verpflichtung zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte zusätzlich mit folgenden Massnahmen nachzukommen:
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die Angriffe auf unbewaffnete Zivilist:innen und die massive Zerstörung der städtischen Infrastruktur in mehreren Städten des Westjordanlands klar verurteilen und sich dafür einsetzen, dass Israel seine Militäroperationen im besetzten Westjordanland sofort und langfristig einstellt und die Gewalttaten der Siedlergruppen unterbindet.
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sich für den Schutz der Zivilbevölkerung und die dringende Aufstockung der humanitären Versorgung einsetzen und deshalb die Beteiligung an der Finanzierung des UN-Hilfswerks für die palästinensischen Flüchtlinge (UNRWA) in vollem Umfang aufrechterhalten.
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sich für einen dauerhaften Waffenstillstand im Gazastreifen einsetzen und den Druck auf die Konfliktparteien zur Einstellung der Feindseligkeiten auch bilateral erhöhen.
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aktiv zum Schutz der Zivilbevölkerung beitragen, indem die Schweiz alle Formen der militärischen Zusammenarbeit, militärischen Beschaffungen und des für militärische Zwecke nutzbaren Technologietransfers zwischen der Schweiz, in der Schweiz ansässigen Unternehmen und Israel bis zu einer umfassenden Friedenslösung per sofort sistiert.
Das Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina ist ein Zusammenschluss von 12 Nichtregierungsorganisationen in der Schweiz, die sich für einen menschenrechtsbasierten Ansatz im Nahostkonflikt einsetzen. Stellungnahmen im Namen des Forums bedürfen einer Zustimmung durch mindestens zwei Drittel seiner Mitglieder und decken sich folglich nicht zwingend mit den Positionierungen aller Mitglieder.
Stellungnahme vom 23.4.2024
Wir fordern Zahlungen an die UNRWA und eine faktenbasierte Nahostpolitik
Eine unabhängige Untersuchungskommission unter der Leitung der ehemaligen französischen Aussenministerin Catherine Colonna stellt fest, dass die israelische Regierung noch keine Beweise für ihre öffentlichen Behauptungen vorgelegt hat, dass eine beträchtliche Anzahl von UNRWA-MitarbeiterInnen Mitglieder terroristischer Organisationen sind oder aktive Beziehungen zu letzteren pflegen.
Stattdessen hält der Bericht fest, dass die UNWRA ihre Kontrollmechanismen zur Gewährleistung der eigenen Neutralität zwar noch weiter verbessern kann, dass das Hilfswerk aber bereits heute über ein weiter entwickeltes Neutralitätskonzept verfügt als andere vergleichbare UNO Institutionen und NGOs.
Mit Verweis auf die durch Israel gegen die UNRWA erhobenen Vorwürfe vom vergangenen Januar hält die Schweiz derzeit ihre für 2024 versprochenen Finanzbeiträge an das Hilfswerk zurück. Dies obschon die UNRWA lebensnotwendige Hilfe für rund zwei Millionen Palästinenserinnen im Gazastreifen leistet, die laut UNO von einer menschgemachten Hungersnot bedroht sind und für die gemäss Internationalem Gerichtshof (IGH) ein plausibles Genozidrisiko besteht. Auch der Colonna-Bericht hält fest, dass die UNRWA ebenso unverzichtbar wie unersetzbar ist.
Das Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina fordert die aussenpolitischen Kommissionen und den Bundesrat dazu auf, den Colonna-Bericht zur Grundlage zu nehmen, um ihre Nahostpolitik wieder an objektiven Fakten, rechtsstaatlichen Grundsätzen und humanitären Werten zu orientieren und die Überweisung der 20 Millionen Franken an die UNRWA umgehend zu ermöglichen. Wir unterstützen zudem eine entsprechende Petition von Amnesty International an Bundesrat und Parlament.
Stellungnahme vom 27.3.2024
Massnahmen zur Durchsetzung von Resolution 2728 gefordert
Der UNO-Sicherheitsrat hat am 25. März ohne Gegenstimme die Resolution 2728 verabschiedet, die einen sofortige Waffenstillstand im Gazastreifen, die Freilassung aller Geiseln und den ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe in den Gazastreifen fordert. Das Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina begrüsst die Resolution und die aktive Rolle, welche die Schweiz bei ihrer Ausarbeitung gespielt hat. Nun fordern wir vom Bundesrat, dass er konkrete Massnahmen zur Durchsetzung der rechtlich bindenden Resolution aufzeigt und ergreift.
Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina
Stellungnahme vom 21.3.2024
Die Schweiz muss ihren Beitrag an die UNRWA umgehend überweisen
Im Gazastreifen herrscht eine menschgemachte akute Hungersnot. Hunderttausende Personen sind auf Hilfslieferungen des UNO-Palästinenserhilfswerkes UNRWA angewiesen. Die 17 unterzeichnenden Organisationen appellieren dringendst an die Mitglieder der APK und des Bundesrates, den Beitrag an die UNRWA schnellstmöglich zu zahlen, um Leben zu retten und die Glaubwürdigkeit der humanitären Schweiz nicht weiter zu schädigen.
Gemäss dem neuesten umfassenden Bericht zur Ernährungslage im Gazastreifen der IPC (The Integrated Food Security Phase Classification) befindet sich mehr als die Hälfte der Bevölkerung des nördlichen Gazastreifens in einer «katastrophalen» Ernährungs- und Versorgungslage. Mit der Unterbindung der Nahrungsmittelzufuhr nimmt Israel das Aushungern der Zivilbevölkerung in Kauf, was ein Kriegsverbrechen sein könnte und nach Ansicht des IGH zur unmittelbaren Gefahr eines Völkermordes beiträgt. Der Grossteil der 2.2 Millionen Menschen im Gazastreifen ist heute in den Schulen und Notunterkünften der UNRWA untergebracht. Nur das UNO-Palästinenserhilfswerk verfügt über die Strukturen, das Personal und das Fachwissen, um die ausreichende Zufuhr und Verteilung lebensnotwendiger Hilfsgüter zu gewährleisten. Die Schwächung der UNRWA trägt zur Aushungerung Gazas bei und kann als Beihilfe zum Völkermord verstanden werden.
Die UNRWA ist für die Bildung und Versorgung von sechs Millionen palästinensischer Flüchtlinge im Gazastreifen wie auch in der besetzten Westbank und den Nachbarländern Libanon, Syrien und Jordanien zuständig. Eine Einstellung des Betriebes der UNRWA hätte eine stark destabilisierende Wirkung auf diese ohnehin schon fragilen Regionen und Länder und schadet somit auch den Interessen der Schweiz.
Die Schweiz ist stolz auf ihre humanitäre Tradition und ihren Ruf als verlässliche Partnerin der internationalen Zusammenarbeit. Dieser Ruf hat im Zuge des aktuellen Kriegs in Gaza bereits gelitten, weil die Schweiz sich nicht aktiver für einen dauerhaften Waffenstillstand und ein Waffenembargo einsetzt. Würde die Schweiz zudem die Finanzierung der UNRWA stoppen und damit das einzige Werkzeug schwächen, mit dem die menschgemachte Hungersnot allenfalls noch gestoppt werden kann, wäre die Glaubwürdigkeit der humanitären Schweiz auf lange Sicht geschädigt.
Israel betreibt seit vielen Jahren eine aktive Diffamierungskampagne gegen die UNRWA als Vertreterin der palästinensischen Flüchtlinge und als Symbol für deren Anspruch auf Selbstbestimmung. Am 26. Januar 2024 – am selben Tag, an welchem der Internationale Gerichtshof IGH ein plausibles Völkermordrisiko im Gazastreifen feststellte – erhob Israel Vorwürfe gegen die UNRWA. Auf die Vorwürfe Israels, wonach zwölf der UNRWA-Mitarbeiter:innen im Gazastreifen an den Kriegsverbrechen der Hamas vom 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen sein sollen, gab die UNO eine unabhängige Untersuchung in Auftrag, die noch für März einen provisorischen Bericht in Aussicht gestellt hat. Dies zeigt, dass die UNO und die UNRWA ihre Sorgfaltspflicht ernst nehmen. Die Gesamtheit der UNRWA mit ihren 30'000 Mitarbeiter:innen und die Millionen von notleidenden Hilfsempfänger:innen, insbesondere im Gazastreifen, dürfen aber in keinem Fall für mutmassliche Verbrechen von Einzelpersonen unter Kollektivstrafe gestellt werden. Israel hat der UNO und der UNRWA seit den Anschuldigungen im Januar keine glaubwürdigen Beweise für die Vorwürfe vorgelegt.
Bereits Anfang Februar verurteilten einige der mitunterzeichnenden Organisationen die spontane Entscheidung von einem Dutzend Geberländern, ihre Finanzierungsbeiträge an die UNRWA zu stoppen, scharf. Wir begrüssen es, dass die EU, Kanada, Schweden, Australien und Norwegen ihre Zahlungen inzwischen wieder aufgenommen und Spanien seine Zahlungen um 20 Millionen Euro aufgestockt hat und dass die Aussenpolitische Kommission des Nationalrates Herrn Phillipe Lazzarini am 25. März zu einem ausführlichen Gespräch trifft.
Wir fordern, dass die vorgesehenen finanziellen Beiträge der Schweiz an die UNRWA im April ohne weiteren Verzug bezahlt werden. Allfällige Verzögerungsversuche müssen mit Verweis auf die immanente Hungersnot im Gazastreifen entschieden zurückgewiesen werden. Eine Erhöhung der Beiträge soll geprüft werden.
Gleichzeitig erneuern wir ebenfalls unsere dringliche Forderung, dass sich die Schweiz entschlossener für einen dauerhaften Waffenstillstand einsetzt. Die Schweiz muss alles tun, um eine Hungersnot und weitere Tote im Gaza-Krieg zu verhindern.
Aider Beit-Sahour, Palestine
Amnesty International Schweiz
Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina
Frauen für den Frieden Schweiz
Frieda - Die feministische Friedensorganisation
Gerechtigkeit und Frieden in Palästina GFP
Gesellschaft Schweiz-Palästina GSP
Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSOA
Ina autra senda - Swiss Friends of Combatants for Peace
Jüdische Stimme für Demokratie und Gerechtigkeit in Israel/Palästina JVJP
medico international schweiz
Bereich OeME-Migration der ref. Kirchen Bern-Jura-Solothurn
Parrainages d'Enfants de Palestine
PeaceWomen Across the Globe
Palästina-Solidarität Basel
Palästina-Solidarität Schweiz
Urgence Palestine Nyon-La Côte
Stellungnahme vom 1.2.2024
Die Unterstützung der UNRWA ist unerlässlich
Die Leistungen, die die UNRWA, das Hilfswerk der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge, in vier Ländern des Nahen Ostens erbringt, sind unverzichtbar und die humanitäre Hilfe, die sie nach besten Kräften im Gazastreifen leistet, ist absolut lebensnotwendig. Angesichts der jüngsten Welle der Kritik an der UNRWA bekräftigt das Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina, dass die Arbeit der UNRWA unentbehrlich ist und langfristig finanziell abgesichert werden muss.
Wir begrüssen die vom UNRWA-Management eingeleiteten Ermittlungen zu mutmasslichen Beteiligungen einiger UNRWA-Mitarbeiter an den Terroranschlägen vom 7. Oktober 2023 auf israelischem Gebiet. Eine Aufklärung der Vorwürfe und eine Überprüfung der internen Kontrollsysteme der UNRWA ist wichtig, um die Glaubwürdigkeit und Finanzierung ihrer Arbeit langfristig sicherzustellen.
Wir verurteilen jedoch die spontane Entscheidung von einem Dutzend Geberländern scharf, ihre Finanzierungen für die UNO-Organisation allein aufgrund von Anschuldigungen gegen eine kleine Gruppe von Mitarbeitern auszusetzen.
Die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen schockiert die ganze Welt. Die Einstellung der Finanzierung der UNRWA wird zusätzlich eine verheerende Auswirkungen für mehr als zwei Millionen ZivilistInnen - mehr als die Hälfte davon Kinder – haben: Ihr Überleben hängt direkt von der Nothilfe der UNRWA ab. Wir erachten die Einstellung der Finanzierung als verantwortungslos und als «Kollektivstrafe» für die BewohnerInnen des Gazastreifens, um es mit den Worten des Generaldirektors der UNRWA, dem Schweizer Philippe Lazzarini, zu sagen. Die angekündigten Finanzierungsstopps verstossen zudem gegen die vom Internationalen Gerichtshof (IGH) am 26. Januar angeordneten Sofortmassnahmen zur Verhinderung eines Völkermordes, zu denen auch die sofortige Verbesserung der humanitären Versorgung des Gazastreifen zählt.
Die UNRWA ist die wichtigste humanitäre Organisation im Gazastreifen und der Umfang der von ihr geleisteten Hilfe kann nicht von anderen vor Ort tätigen Organisationen erbracht werden. Eine Umleitung der Mittel an andere humanitäre Akteure kann den Zusammenbruch des humanitären Systems in Gaza also nicht verhindern, der durch eine Aussetzung der Mittel für die UNRWA verursacht würde. Die Diffamierungskampagne durch israelische RegierungsvertreterInnen, die inzwischen die Auflösung der UNRWA fordert, ist verantwortungslos.
Wir begrüssen die Initiative der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats, Herrn Phillipe Lazzarini am 25. März zu einem ausführlichen Gespräch nach Bern einzuladen. Eine allfällige Verzögerung oder Kürzung von finanziellen Beiträgen an die UNRWA, zu denen sich die Schweiz bereits verpflichtet hat, erachten wir hingegen als unzulässig und verantwortungslos, zumal sich die UNRWA als Organisation nicht strafbar gemacht hat und für zwei Millionen Menschen lebensnotwendig ist.
Fünf Gründe, die dafür sprechen, die UNRWA nicht dadurch im Stich zu lassen, indem man ihr die Finanzierung entzieht:
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In der Berichterstattung, die zur Sistierung von Zahlungsbeiträgen geführt hat, ist die Rede von etwa 12 UNRWA-Mitarbeitern, die an den Angriffen vom 7. Oktober beteiligt gewesen sein sollen. Wenn dies bestätigt wird, müssen sie strafrechtlich verfolgt werden. Es handelt sich jedoch um 12 Personen von insgesamt 13.000 UNRWA-Mitarbeiter*innen allein im Gazastreifen.
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Gemäss UN-Generalsekretärs Antonio Guterres «hängt das tägliche Überleben von zwei Millionen Zivilist*innen in Gaza von der kritischen Hilfe der UNRWA ab». Dies während die Bombardements durch die israelische Armee unvermindert fortgesetzt werden.
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In der Praxis gibt es kurz- und mittelfristig keine Alternative zur UNRWA, um die massiven humanitären Hilfslieferungen zu gewährleisten, die die Menschen in Gaza derzeit benötigen. Die Ortskenntnis und die vorhandene Infrastruktur der UNRWA machen sie unabdingbar. Die UNRWA ist eine professionelle Agentur, die von einem äußerst strengen Management (mit dem Schweizer Philippe Lazzarini an ihrer Spitze) gesteuert wird, und regelmäßigen internen und externen Kontrollen unterliegt.
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Unter normalen Umständen und im Allgemeinen trägt die UNRWA mit all ihren grundlegenden Dienstleistungen zur Stabilität in einer gebeutelten Region bei. Eine Beschränkung der UNRWA-Finanzierung bedeutet also, dass man das Risiko unkontrollierbarer Gewalt in mehreren Ländern des Nahen Ostens eingeht.
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Die Anschuldigungen gegen die UNRWA (mehr als gegen jede andere UN-Organisation) müssen immer im Lichte politischer Agenden in Kriegszeiten betrachtet werden. Kriegsführung findet auf allen Seiten auch über gezielte Diffamierungen statt. Nur durch eine unabhängige Prüfung kann eine glaubwürdige Aufarbeitung der Vorwürfe stattfinden.
Forderungen an den Bundesrat vom 23.1.2024
Massnahmen der Schweiz zur Verhinderung weiterer Völkerrechtsverletzungen und zum Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza
Angesichts der sich täglich verschärfenden humanitären Krise im Gazastreifen und der drohenden Gefahr einer ethnischen Säuberung oder eines Völkermords wendet sich das Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina, ein Zusammenschluss aus 13 Schweizer Nichtregierungsorganisationen, an den Bundesrat. Wir fordern die Schweiz dazu auf, ihre Verpflichtungen als Unterzeichnerstaat der UNO-Völkermordskonvention und als Depositarstaat der Genfer Konventionen wahrzunehmen und entschlossen auf einen unbefristeten Waffenstillstand hinzuwirken.
In den letzten Wochen und Tagen haben mehrere internationale Organisationen Berichte und Statements veröffentlicht, die die lebensbedrohliche Lage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen deutlich machen. Sie warnen davor, dass sich die Situation täglich verschlimmert, sofern Israel nicht schnellstmöglich einen verbesserten und sicheren Zugang für humanitäre Hilfe ermöglicht und eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung zulässt. Gemäss Welternährungsprogramm (WFP) ist die gesamte Bevölkerung von Gaza mittlerweile von einer akuten Hungerkrise bedroht, wobei sich die Hälfte bereits in einer Notsituation befindet.
Berichten der UNO-Koordination für Humanitäre Angelegenheiten (UNOCHA) zufolge wurden 85% der Bevölkerung Gazas durch israelische Angriffe oder Evakuierungsaufforderungen (oft mehrmals) intern vertrieben. Sie leben nun auf engstem Raum in improvisierten Unterkünften, was auch die gesundheitlichen Risiken erhöht. Besonders alarmierend ist, dass verschiedene Mitglieder der israelischen Regierung wiederholt die PalästinenserInnen verbal entmenschlicht oder zur totalen Zerstörung des Gazastreifens und zur Umsiedlung der palästinensischen Bevölkerung in Drittstaaten aufgerufen haben.
Vor diesem Hintergrund haben am 16. Januar acht UNO-Sonderbeauftragte ein gemeinsames Statement veröffentlicht, in dem sie vor der Gefahr eines drohenden Völkermordes warnen. Auch renommierte Experten wie der israelisch-amerikanische Holocaustforscher Omer Bartov erkennen klare Anzeichen für ethnische Säuberung und unterstreichen, dass gehandelt werden muss, bevor sich die Situation zu einem Völkermord entwickelt. Die von der Schweiz unterzeichnete Völkermordkonvention definiert unter anderem die «vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen», als Völkermord und verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, Völkermord zu verhindern und zu bestrafen.
Das Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina ist zutiefst besorgt über die dramatische Situation in Gaza und bittet die Schweiz, die Warnungen vor einem Völkermord und der Gefahr einer ethnischen Säuberung ernst zu nehmen. Es fordert die Schweiz auf, ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen wahrzunehmen und Massnahmen gegen diese Gefahr zu ergreifen.
Am 12. Januar erinnerte die Schweiz im UNO-Sicherheitsrat mit Blick auf die Geschehnisse in Gaza daran, dass die Genfer Konventionen Zwangsumsiedlungen von Menschen verbieten und solche Umsiedlungen ein Kriegsverbrechen darstellen. Zudem verurteilte sie Aufrufe zur Vertreibung von ZivilistInnen aus dem besetzten palästinensischen Gebiet und betonte die Notwendigkeit eines dauerhaften humanitären Waffenstillstands. Das Forum begrüsst diese Intervention sehr.
Angesichts der dramatischen Situation erachten wir folgende zusätzliche Massnahmen als dringend notwendig:
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Die Schweiz soll sich innerhalb und ausserhalb des UNO-Sicherheitsrates entschlossen und öffentlich für einen dauerhaften Waffenstillstand einsetzen und den Druck auf die Konfliktparteien zur Einstellung der Feindseligkeiten auch bilateral erhöhen. Nur mit einem Waffenstillstand können die Menschen im Gazastreifen von der lebensnotwendigen humanitären Hilfe erreicht und eine Ausweitung der humanitären Katastrophe verhindert werden.
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Mit Verweis auf seine völkerrechtliche Verpflichtung, einen möglichen Völkermord zu verhindern und zu bestrafen, wirft Südafrika Israel vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) der Vereinten Nationen Völkermord an den PalästinenserInnen im Gazastreifen vor. Um einem allfälligen Völkermord bereits während der Verfahrensdauer vorzubeugen oder ihn zu unterbinden, hat Südafrika Sofortmassnahmen durch den IGH zur sofortigen Beendigung der Kriegshandlungen beantragt. Wir fordern die Schweiz als Vertragsstaat der Völkermordskonvention dazu auf, den IGH beim betreffenden Verfahren bei Bedarf zu unterstützen. Zudem fordern wir die Schweiz dazu auf, Südafrikas Forderung nach präventiven Sofortmassnahmen zur Prävention eines Genozids zu unterstützen.
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Verschiedene Vertragsparteien der Genfer Konventionen rufen die Schweiz als Depositarstaat dazu auf, eine dringliche Konferenz der Hohen Vertragsparteien der Genfer Konvention einzuberufen, um über die systematischen Verletzungen insbesondere der vierten Genfer Konvention zum Schutz der Zivilbevölkerung im Gazakrieg zu beraten. Da die Verletzungen der Genfer Konventionen durch alle Konfliktparteien unbedingt adressiert werden müssen, unterstützt das Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina diese Forderung.
https://www.ipcinfo.org/ipcinfo-website/alerts-archive/issue-94/en/
https://www.nytimes.com/2023/11/10/opinion/israel-gaza-genocide-war.html
https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2002/358/de?print=true
https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/das-eda/aktuell/newsuebersicht/2023/uno-sicherheitsrat.html
Offener Brief an den Bundesrat vom 17.11.2023
Offener Brief an den Bundesrat betreffend die mutmassliche Einflussnahme von israelischen Lobbying Organisationen auf den Entscheid des EDA, die Finanzierung langjähriger Partnerorganisationen in Israel/Palästina zu sistieren
Am 25. Oktober hat das Eidg. Department für auswärtige Angelegenheiten (EDA) seinen Entscheid bekannt gegeben, «aufgrund der neuen Situation seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem Wiederaufflammen der Feindseligkeiten im Nahen Osten», seine finanzielle Unterstützung für elf palästinensische und israelische NGOs zu sistieren.
Ohne ersichtliche Grundlage und einer Einzelfallprüfung vorgreifend hat das EDA langjährige Partner:innen geschwächt, die sich auch angesichts der jüngsten Gewalteskalation für die Einhaltung der Menschenrechte und den Schutz der Zivilbevölkerung einsetzen. Dies, obschon einige der betroffenen Organisationen erst vor Kurzem einen externen Evaluationsprozess ihrer Tätigkeiten durchlaufen. Im betreffenden Bericht vom 20. August 2023 heisst es: «The evaluation team recommends that SDC continue its core support to these eight partners. These are good organizations doing excellent work.»
Die Sistierung ihrer Finanzierung und die öffentliche Auflistung der Organisationen hat insbesondere im derzeit aufgeladenen Diskurs eine weitgehende Rufschädigung für die Betroffenen zur Folge. Die De-Facto-Vorverurteilung der betroffenen Organisationen hat bereits eine negative Signalwirkung auf andere Geldgeber:innen entfaltet: Einige der diesen Brief mitsignierenden Organisationen wurden inzwischen von namhaften Geldgebern aus der Schweiz dazu aufgefordert, allfällige Kooperationen mit den betroffenen Organisationen offen zu legen. Indem das EDA bewährten Partnerorganisationen präventiv das Vertrauen entzogen hat, hat es ferner dem Ruf der Schweiz als verlässliche Partnerinnen in der internationalen Zusammenarbeit geschadet. Das EDA hat bislang keine sachliche und für Aussenstehende nachvollziehbare Erklärung abgegeben, auf welcher Grundlage die folgenschwere Sistierung beschlossen worden ist. Weder gab eine Pressekonferenz vom 1. November mit Bundesrat Cassis und Botschafterin Maya Tissafi Aufschluss darüber, was den betroffenen Organisationen konkret vorgeworfen wird, noch wurde eine schriftliche Anfrage des hier mitunterzeichnenden Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina klärend beantwortet: Die Abteilung Mittlerer Osten und Nordafrika (MENA) des EDA erwähnte lediglich, «dem EDA lagen externe Hinweise vor, dass (die betroffenen Organisationen) gegen den Verhaltenskodex oder die Antidiskriminierungsklausel des EDA verstossen hätten». Inhalte und Quellen der genannten Hinweise bleiben bis heute im Dunkeln.
Am 14. November hat der öffentliche Rundfunk RTS einen Beitrag ausgestrahlt, der nachvollziehbar nahelegt, dass die «externen Hinweise», auf die das EDA sich beruft, von der israelischen Lobby-Organisation «NGO Monitor» stammen. Diese verfolgt seit ihrer Gründung im Jahr 2001 die rechts-nationale Agenda, zivilgesellschaftliche Akteur:innen in Israel/Palästina zu diffamieren, «who are using the instruments and language of “human rights” and “international law” to isolate Israel». Die Recherchen von RTS haben ergeben, dass es am 20. September 2023 in Bern ein Treffen zwischen Maya Tissafi, der Chefin der Nahost-Taskforce des EDA, Simon Geissbühler, dem Chef der Abteilung Frieden und Menschenrechte des EDA und einem Vertreter von «NGO Monitor» gegeben hat. «NGO Monitor» nennt den Beschluss des EDAs auf seiner Website einen «grossen Durchbruch» und bestätigt: «…this comes weeks after NGO Monitor Senior Researcher Shaun Sacks met with Swiss MPs and officials in Bern, and provided evidence on the damage resulting from funding for these NGOs». Eine nach den Gräueltaten der Hamas vom 7. Oktober von «NGO Monitor» publizierte und später gekürzte «schwarze Liste» mit NGOs, die angeblich «die Gewalt der Hamas verherrlichen» hat sich laut RTS mit den 11 NGOs gedeckt, denen das EDA kurz darauf die Finanzierung suspendierte.
«NGO Monitor» (wie auch andere israelische Lobbying Organisationen) agiert seit vielen Jahren in der Schweiz und versucht via Parlamentarier:innen oder direkt beim EDA Einfluss auf die Schweizer Nahostpolitik zu nehmen. Die rechts-nationale Agenda von «NGO Monitor» ist der offiziellen Nahostpolitik des Bundes diametral entgegengesetzt. Zudem basieren die Diffamierungskampagnen von «NGO Monitor» grösstenteils auf haltlose Behauptungen. Die These, dass NGO-Monitor die Quelle der oben genannten «externen Hinweise» ist, hat die Unterzeichnenden dieses Briefes deshalb in hohem Masse irritiert.
Als Unterzeichnende dieses offenen Briefes fordern wir den Bundesrat dazu auf, vollständige Transparenz darüber zu schaffen, auf welcher Grundlage der Beschluss zu Stande gekommen ist, die Finanzierung von elf langjährigen und geprüften EDA-Partnerorganisationen in Israel/Palästina zu suspendieren.
Darüber hinaus fordern wir das EDA dazu auf, die Finanzierung der elf EDA-Partnerorganisationen in Israel und dem besetzten palästinensischen Gebiet weiterzuführen, solange kein fundierter und öffentlich begründeter Anlass zur Suspendierung gegeben ist. Die Beurteilung der zivilgesellschaftlichen Organisationen vor Ort muss auf der Basis von anerkannten fachlichen Kriterien sowie seriöser Evaluationen stattfinden. Die mutmassliche Einflussnahme durch «NGO Monitor» muss untersucht werden.
Da wir die erfolgte Vorverurteilung als unzulässig erachten, sowie zur Begrenzung des bewirkten Reputationsschadens, sollen jene NGOs, denen bis heute keine Widerhandlung gegen den Verhaltenskodex oder die Antidiskriminierungsklausel des EDA nachgewiesen werden konnte, öffentlich durch das EDA rehabilitiert werden. Welche Massnahmen zur Rehabilitation und Wiedergutmachung geeignet sind, soll mit den geschädigten Organisationen besprochen werden.
Hochachtungsvoll
AllianceSud
Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina
Frieda - Die feministische Friedensorganisation
Gerechtigkeit und Frieden in Palästina GFP
Gesellschaft Schweiz-Palästina GSP
Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz HEKS/EPER
Ina autra senda - Swiss Friends of Combatants for Peace
Jüdische Stimme für Demokratie und Gerechtigkeit in Israel/Palästina JVJP
KOFF – Die Schweizer Plattform für Friedensförderung (KOFF unterzeichnet den Brief im Namen der zivilgesellschaftlichen Mitglieder, die im Erarbeitungsprozess beteiligt waren. Die beiden staatlichen Mitglieder (AFM und DEZA) waren aus offensichtlichen Gründen nicht in die Redaktion des Briefes involviert und dieser repräsentiert nicht ihre Position.)
medico international schweiz
Bereich OeME-Migration der ref. Kirchen Bern-Jura-Solothurn
Palästina-Solidarität Basel
Peace Watch Switzerland
PeaceWomen Across the Globe (PWAG)
Schweizerischer Friedensrat SFR
https://www.ngo-monitor.org/about/faqs/
Update from Israel: Switzerland Halts funds to NGOs, Steinberg in Die Welt (Germany) (mailchi.mp)
Stellungnahme zur Rolle der Schweiz im Krieg in Israel/Palästina 27.10.2023
Wichtige Menschenrechtsarbeit zum Schutz der Zivilbevölkerung darf nicht verhindert werden
Diesen Mittwoch hat das Eidg. Department für Auswertige Angelegenheiten (EDA) seinen Entscheid bekannt gegeben, «aufgrund der neuen Situation seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem Wiederaufflammen der Feindseligkeiten im Nahen Osten», seine finanzielle Unterstützung für elf palästinensische und israelische NGOs auszusetzen. Wir sind überzeugt, dass genau in dieser Situation diese Schwächung anerkannter lokaler Menschenrechtsorganisationen und langjähriger DEZA-Partner:innen, die für den Schutz der Zivilbevölkerung einstehen, das falsche Zeichen ist. Die Gewährleistung der Menschenrechte hat angesichts der neuesten Gewalteskalation höchste Priorität. Die DEZA-Partnerorganisationen in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten werden regelmässig geprüft und verschiedene betroffene Organisationen haben erst vor Kurzem einen dreijährigen externen Evaluationsprozess ihrer Tätigkeiten abgeschlossen. Im Bericht vom 20. August 2023 heisst es: «The evaluation team recommends that SDC continue its core support to these eight partners. These are good organizations doing excellent work.» 1
Der Entscheid des EDA, die finanzielle Unterstützung von elf lokalen NGOs zu suspendieren, bedeutet eine weitere Einschränkung für die bereits sehr eingeengte Zivilgesellschaft. Er kann zu einer Rufschädigung erfahrener und anerkannter Menschenrechtsorganisationen und zu zusätzlichen Risiken für deren Mitarbeitende führen. Zudem droht die Gefahr, dass die Sistierung der Gelder der offiziellen Schweiz grundsätzlich eine negative Signalwirkung auf andere Organisationen und Geldgeberinnen hat, welche die Zivilgesellschaft in Israel und dem besetzten palästinensischen Gebiet unterstützen. Bisher fehlt eine sachliche Grundlage für die Suspendierung der finanziellen Unterstützung. Wir fordern das EDA dazu auf, die Finanzierung von geprüften lokalen DEZA-Partnerorganisationen in Palästina und Israel weiterzuführen, solange kein fundierter Anlass zur Suspendierung durch eine weitere Prüfung der Organisationen gegeben ist. Die Beurteilung der zivilgesellschaftlichen Organisationen vor Ort muss auf der Basis von anerkannten fachlichen Kriterien sowie seriöser Evaluationen stattfinden. Es dürfen keine ad-hoc-Entscheide aufgrund von politischem Druck erfolgen.
Es braucht einen sofortigen und unbefristeten Waffenstillstand
Ebenfalls rief die Schweiz diesen Mittwoch im UNO-Sicherheitsrat zwar zum Schutz der Zivilbevölkerung in Israel und in Gaza auf, enthielt sich in derselben Sitzung dann jedoch ihrer Stimme, als über einen Resolutionsentwurf Russlands abgestimmt wurde, der einen sofortigen Waffenstillstand forderte. Stattdessen stimmte die Schweiz für den Resolutionsentwurf der USA, der lediglich «humanitäre Feuerpausen» fordert. Das ist nicht ausreichend. Angesichts einer beispiellosen humanitären Katastrophe im Gazastreifen braucht es einen sofortigen Waffenstillstand. Weitere Tote unter der Zivilbevölkerung in Israel und den besetzten Gebieten müssen verhindert und der Zugang zu lebensrettender Hilfe für alle Notleidenden sichergestellt werden. Wir fordern deshalb den Bundesrat auf, sich im UNO-Sicherheitsrat nachdrücklich für einen sofortigen und unbefristeten Waffenstillstand einzusetzen.
1: Lucid collaborative: «Promotion and Respect for Human Rights, Gender Equality, and International Humanitarian Law». External Evaluation of the Work of SDC Partners in Israel and the Occupied Palestinian Territories, 2021-2023.
Stellungnahme zur gewalteskalation In Israel/Palästina 12.10.2023
Das Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina ist ein Zusammenschluss von 14 Organisationen in der Schweiz, die sich für einen menschenrechtsbasierten Ansatz im israelisch-palästinensischen Konflikt einsetzen. Mit grosser Besorgnis nehmen wir zur Kenntnis, dass im Zuge der jüngsten Gewalteskalation im Nahen Osten einmal mehr und sehr gravierend völker- und menschenrechtswidrige Gewalt eingesetzt wird, sowohl von der Hamas und ihren Verbündeten als auch von den israelischen Sicherheitskräften. Verbrechen, wie durch die Hamas verübte Massaker, sind durch nichts zu rechtfertigen, sondern scharf zu verurteilen. Wir distanzieren uns auch klar von jeder Form von Entmenschlichung in der Berichterstattung. Vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung, sowie unverhältnismässige Angriffe, bei denen Zivilpersonen getötet oder verletzt werden, sind Kriegsverbrechen. Alle Konfliktparteien sind aufgefordert, sich an das Völkerrecht zu halten und alles zu tun, um weitere zivile Opfer zu vermeiden. Die von der Hamas als Geiseln genommenen, mehrheitlich jüdisch-israelischen Zivilpersonen müssen unverzüglich, bedingungslos und unversehrt freigelassen werden.
Die Geschehnisse der letzten Tage dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Die Menschen in Gaza stehen seit 16 Jahren unter einer Blockade, die ihnen ein normales Leben in Würde gezielt verunmöglicht. Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist katastrophal und perspektivlos.
Die Besatzung, der Ausbau der Siedlungen und die Entrechtung der palästinensischen Bevölkerung, die von vielen Menschenrechtsexpert:innen als Apartheid beschrieben wird, sind für die langjährige Krise ebenso mitverantwortlich, wie die Duldung all dieser Völkerrechtsverletzungen durch die internationale Gemeinschaft und die weitgehende Straflosigkeit für die Täter:innen.
Forderungen des Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina
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Wir fordern alle Konfliktparteien auf, die Gewalt unverzüglich zu beenden und den Bestimmungen des humanitären Völkerrechts Folge zu leisten. Die Schweiz soll sich nachdrücklich gegenüber den Konfliktparteien in diesem Sinne einsetzen.
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Wir begrüssen es, dass die Schweiz humanitäre Hilfsgelder nicht in Frage stellt fordern angesichts der verschärften Notlage eine Erhöhung der Zahlungen an. Die Schweiz soll zudem israelische und palästinensische Menschenrechtsorganisationen und humanitäre Organisationen stärken und vor den Repressionsmassnahmen Israels und palästinensischer Akteure schützen. Die Gewährleistung der Menschenrechte hat angesichts der neuesten Gewalteskalation höchste Priorität.
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Zudem muss die Schweiz sich dafür einsetzen, dass der ICC die Untersuchungen zu Kriegsverbrechen in Israel/Palästina seit 2015 reaktiviert und zur Anklage bringt. Selbstverständlich soll der ICC hierbei auch jene Kriegsverbrechen untersuchen, die in den vergangenen Tagen verübt wurden. Dazu gehört auch die Unterbindung der Einfuhr von Lebensmitteln, Medikamenten und Treibstoff in den Gazastreifen für dessen 2.3 Millionen Einwohner:innen. Das Aushungern der Zivilbevölkerung ist gemäss Römer Statut ein Kriegsverbrechen.
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Um eine echte Konfliktlösung dem bloßen Konfliktmanagement vorzuziehen, muss sich die Schweiz entschieden für die Beendigung der israelischen Besatzung einsetzen. Denn dies ist der einzig zielführende Weg hin zu einem gerechten und dauerhaften Frieden für die palästinensisch-arabische und die israelisch-jüdische Bevölkerung in Israel/Palästina
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Zürich, 22.6.2023
Bern, 24.6.2023